Kreis-Oldenburger-Eisenbahn (1880-1938)

Eine Normalzeit für Deutschland - HP 13.8.1884

Wir entnehmen der Nat. Ztg. folgende sachgemäße Zeilen über diese interessante Frage: Eine von dem preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten ausgegangene Anregung hat in der jüngsten Zeit wieder eine Erörterung der früher schon häufig diskutierten Frage veranlaßt, ob, wie es in einigen anderen Ländern der Fall ist, auch in Deutschland eine Normalzeit für das Gebiet des ganzen Reiches eingeführt werden solle. Es würden danach überall in Deutschland die Uhren nach der Uhr von Berlin, statt nach der natürlichen, durch den Stand der Sonne bedingten Ortszeit zu regulieren sein. Ein Vermittlungsvorschlag geht dahin, daß nur die Eisenbahnuhren nach der Berliner Normalzeit zu stellen wären, so daß für den sonstigen Verkehr die Ortszeit maßgebend bliebe.

In den durch jene ANregung veraanlaßten Erörterungen ist eine Frage bisher nicht berührt worden, welche vor allem von Bedeutung ist: ob denn Aussicht vorhanden ist, daß die Berliner Ortszeit in ganz Deutschland, nicht bloß in Preußen und in einigen anderen Staaten angenommen würde. Bei dem Werth, welchen einzelne Staaten gerade auf ihre "Eisenbahnhoheit" legen, und auch aus anderen Gründen, auf die wir hier nicht weiter eingehen wollen, scheint das sehr zweifelhaft. Aber eine preußische Zeit im gegensatz zu einer bayrischen, würtembergischen, sächsischen, zc. künstlich zu schaffen, da wären die natürlichen Verschiedenheiten der Uhr je nach der geographischen Lage bei weitem vorzuziehen.

Auch ganz abgesehen von dieser Vorfrage ist, soweit es sich nach den Stimmen der Presse beurteilen läßt, sehr wenig Neigung für die angeregte Maßregel vorhanden und das ist natürlich. Man hat offenbar in der Bevölkerung nicht die Empfindung, daß eine Notwendigkeit für die beabsichtigte Neuerung vorhanden ist. In manchen anderen Ländern besteht eine Normalzeit, das ist wahr; aber wir brauchen unsere Einrichtungen doch nicht auch in solchen Dingen, in denen die unsrigen besser, oder sagen wir uns nur, für das tägliche Leben bequemer sind, nach denen anderer Länder zu gestalten. Bei dem Stande der Dinge hat die Eisenbahnverwaltung eine Mühewaltung: Sie muß, nachdem die Fahrpläne nach der Berliner Zeit aufgestellt worden, dieselben nach der Uhr der einzelnen Stationen umrechnen. Indeß, das ist nuneinmal hergebracht und wird daher, sammt einigen Konsequenzen davon im inneren Dienst der Eisenbahnverwwaltung, wohl kaum von dieser als schwere Belästigung empfunden. Auch daß die verhältnismäßig kleine ANzahl von Personen, welche häufig auf weite Entfernungen reist, die Differenzen der Ortszeiten beachten muß, fällt weiter nicht ins Gewicht. Die ganze übrige Bevölkerung hat kein Interesse an der fraglichen Aenderung, während dieselbe nicht ohne mißliche Folgen wäre.

Zwischen Berlin und dem östlichstem, sowie zwischen Berlin und dem westlichstem Punkte des Reiches beträgt der Unterschied der Uhr rund eine halbe Stunde. Um so viel würde die natürliche Mittagszeit, die für die Tageseinteilung vielfach maßgebend ist, von der willkürlichen Bestimmung des Moments, wann es 12 Uhr ist, abweichen. Die Regulierung der Uhren selbst würde ein umständlicherer Proceß werden als jetzt. Vollends mißlich aber wäre die Einführung eines Dualismus von Eisenbahn und Ortszeit, so daß die Zeit auf dem Bahnhof eine andere wäre, als auf dem Rathaus. Das würde eine fortwährende Quelle von Mißverständnissen und Aerger sein.

In dieser Angelegenheit ist offenbar alle Welt konservativ und so wird sich die preußische Eisenbahnverwaltung wohl im Interesse des Publikums weiter der Mühewaltung doppelter Zeitrechnung unterziehen.

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